Öffentliche Tagung

Öffentliche Fachtagung

Selbstbestimmung und Sterbewünsche

Suizidhilfe für psychisch belastete und kranke Menschen?
Umgang mit Sterbewünschen alter und hochbetagter Menschen
Befunde der Suizidforschung – Aufgaben der Suizidprävention

Volkshaus Zürich, Weisser Saal

Tagungsprogramm PDF

Lebenswünsche – Sterbewünsche  
Die Möglichkeit des assistierten Suizides und die Tätigkeiten von Organisationen wie EXIT finden heute eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Wie auch immer diese Entwicklung moralisch bewertet wird, gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS, Todesursachenstatistik) ist die Zahl der Suizide rückläufig, während gleichzeitig die assistierten Suizide zunehmend sind. Auffallend sind gemäss BFS zwei Trends: zum einen lag bei rund einem Drittel der organisierten Suizidbeihilfen keine tödliche Krankheit vor; zum anderen ist das Durchschnittsalter bei der Durchführung eines assistierten Suizides gestiegen. Inwieweit hierbei neben den persönlichen Wertvorstellungen soziale Gründe für die Inanspruchnahme organisierter Suizidhilfe eine Rolle spielen – also die Angst vor Langzeitpflegebedürftigkeit, Kontrollverlust, Immobilität, Abhängigkeit, ein empfundener Würdeverlust – ist zu analysieren.

Subjektiv erlebtes unerträgliches Leiden
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat in ihren medizin-ethischen Richtlinien 'Umgang mit Sterben und Tod' (2021) zum assistierten Suizid festgehalten: "Zudem ist es nicht der medizinisch objektivierbare Zustand, der bei der Patientin zum selbstbestimmten Suizidwunsch führt, sondern das subjektiv erlebte unerträgliche Leiden."

Suizidhilfe für psychisch belastete und kranke Menschen?
Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob Menschen mit einer chronischen psychiatrischen Erkrankung die Möglichkeit des assistierten Suizids offenstehen soll. Bereits 2006 hat das Bundesgericht festgestellt, dass Beihilfe zum Suizid bei psychisch kranken nicht generell ausgeschlossen, jedoch äusserste Zurückhaltung geboten sei. Zu unterscheiden sei „zwischen einem Sterbewunsch, der Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung ist und nach Behandlung ruft, und dem selbstbestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person (Bilanzsuizid)“.

„Total pain“ – Schmerz bei hochbetagten Menschen ist häufig Lebensschmerz
Die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (FGPG) stellt in ihrem Grundsatzpapier „Sterbewünsche in der Palliativen Geriatrie“ fest: „Sterben und Tod sind für alte Menschen ein naheliegendes Thema. Für Hochbetagte kann Sterben eine wünschenswerte Perspektive sein.“ Im Rahmen der Tagung wird zu diskutieren sein, inwieweit der assistierte Suizid eines alten Menschen gesellschaftlich weniger hinterfragt und eher als verstehbar akzeptiert wird, wodurch mögliche präventive Massnahmen gar nicht oder unzureichend eigesetzt werden? Es stellt sich zugleich die Frage, ob Begriffe wie „Bilanzsuizid“ und „Altersfreitod“ wie auch eine altersdiskriminierende Einstellung verhindern, sich mit den eigentlichen Hintergründen und Motiven suizidaler Erwägungen eines Einzelnen zu beschäftigen?

Pflegepersonen: häufig und zuerst mit Sterbewünschen und „Assistiertem Suizid“ konfrontiert
Die Möglichkeit des assistierten Suizid in Alters- und Pflegeheimen bzw. -zentren, die mittlerweile verpflichtend durch Volksinitiativen und Entscheidung der Parlamente in mehreren Kantonen angeboten werden muss, führt häufig zu erheblichen Konflikten in den Institutionen; dies u. a. auch, weil dort Menschen aus anderen Kulturen und Religionen tätig sind, in denen Suizid prinzipiell abgelehnt wird.

„Sterben, wie ich will? Lebens- und Sterbewünsche bei schwerer Krankheit“
lautete der Titel der Tagung vom 11. September 2020 im Forum Gesundheit und Medizin. Es ist Zeit, die öffentliche Diskussion in Sachen ‚Sterbehilfe‘ und ‚Suizid(bei)hilfe‘ zu den skizzierten Problemlagen fortzusetzen; vor allem aber auch das Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Suizidalität zu stärken und die Bedingungen und Verantwortlichkeiten einer Suizidprävention zu diskutieren.
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Themen der Vorträge und Diskussionen

Krisen, existenzielle Erschütterungen, psychische Erkrankungen
Überlegungen aus psychiatrischer Sicht zur Vulnerabilität eines Menschen und zur Aufgabe der Suizidprävention
Prof. em. Dr. med. Dr. phil. Paul Hoff, Zürich

Wie frei ist der «Altersfreitod»?
Suizidalität und Suizidhilfe bei älteren und hochbetagten Menschen
Jutta Stahl, lic. phil., Zürich

Suizidhilfe für psychisch belastete und kranke Menschen?
Suizidhilfe für multimorbide, somatisch kranke hochbetagte Menschen mit psychischen und sozialen Belastungen?
DDr. Paul Hoff und Jutta Stahl

Verantwortung der Pflegefachpersonen, wenn ihnen der Wunsch nach assistiertem Suizid anvertraut wird
Ethische und fachliche Herausforderungen in der Langzeitpflege älterer Menschen
Prof. Dr. phil. habil. Annette Riedel, Esslingen b. Stuttgart

Konfrontiert mit Sterbewünschen und „Assistiertem Suizid“.
Moralische Belastung von Pflegefachpersonen
Dr. Annette Riedel

Selbstbestimmung, Lebens- und Sterbewünsche
Zwischen Freiheit, Verantwortung und Überforderung
Dr. med. Roland Kunz, Zürich

Umgang mit Sterbewünschen alter und hochbetagter Menschen
Wenn ein Patient die Beschleunigung des Sterbens oder Suizidhilfe wünscht
Aufgaben und Verantwortung des Arztes
Dr. Roland Kunz

Zwischen Leben und Tod
Existenzpsychologisch orientierte Begleitung schwerkranker Menschen
Prof. em. Dr. phil. Dr. h. c. Andreas Kruse, Heidelberg

Von der Bedeutung des Lebensendes für die Gesamtgestalt des Lebens
Dr. Andreas Kruse

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Referentinnen und Referenten

Paul Hoff
Prof. em. Dr. med. Dr. phil., Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie; ehem. Chefarzt und stv. Klinikdirektor, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik; seit Januar 2021 Präsident der Zentralen Ethikkommission (ZEK) der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW); zugleich Mitglied des Vorstands der SAMW; langjähriges Mitglied der Kantonalen Ethikkommission (KEK) des Kantons Zürich; Wissenschaftlicher Beirat und Leitender Arzt für ambulante Sprechstunden, Privatklinik Hohenegg, Meilen; wissenschaftliche Schwerpunkte: psychopathologische, psychiatriehistorische und wissenschaftstheoretische Themen, die notwendige Grundlage jeder psychiatrischen Tätigkeit sind; zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.

 Andreas Kruse
Prof. em. Dr. phil. Dr. h. c.; Direktor emeritus des Instituts für Gerontologie, Seniorprofessor distinctus der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Studium der Psychologie, Psychopathologie, Philosophie und Musik an den Universitäten Aachen und Bonn sowie an der Hochschule für Musik Köln; Andreas Kruse ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Standardwerke, Fach- und Sachbücher, zuletzt u. a.: Leben in wachsenden Ringen. Sinnerfülltes Alter (2023); „… der Augenblick ist mein und nehm ich den in Acht“ – Daseinsthemen und Lebenskontexte alter Menschen (hrsg. mit Eric Schmitt, 2022); Vom Leben und Sterben im Alter (2021); Lebensphase hohes Alter – Verletzlichkeit und Reife (2017).

Roland Kunz
Dr. med., Facharzt FMH für Allgemeine Innere Medizin spez. Geriatrie und Palliative Care; ehemaliger Chefarzt der Klinik für Akutgeriatrie und des Zentrums für Palliative Care, Stadtspital Zürich; Vorstand der internationalen Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie; langjähriger Präsident der Fachgesellschaft ‚palliative ch‘; Roland Kunz ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und Sachbücher, u. a. Das 1 x 1 der Palliativen Geriatrie (2022 und 2024); Palliativmedizin in der Geriatrie, in: Handbuch Palliativmedizin (2015 und 2021); Über selbstbestimmtes Sterben (2020; mit H. Rüegger).

Annette Riedel
Prof. Dr. phil. habil. Annette Riedel, M.Sc., Pflegefachperson; seit 2008 Professorin für Pflegewissenschaft und Ethik sowie Studiendekanin Master Pflegewissenschaft der Hochschule Esslingen D / University of Applied Sciences, Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege; seit 2020 Mitglied des Deutschen Ethikrates, der u. a. 2022 die Stellungnahme «Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit» publizierte; seit 2016 Mitglied in der Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft, seit 2012 Mitglied im Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin; Autorin und Herausgeberin zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, u. a. Palliative Sedierung im Hospiz (Ethik-Leitlinie, 2020); Moralische Belastung von Pflegefachpersonen (2023);

Jutta Stahl
lic. phil., Fachpsychologin für Klinische Psychologie und Psychotherapie FSP, Gerontopsychologin SFGP, Supervisorin und Ausbildnerin SGVT. Langjährige Tätigkeit in der Psychiatrie, zuletzt 10 Jahre Aufbau und Leitung der Tagesklinik am Gerontopsychiatrischen Zentrum Hegibach der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Seit 2005 Tätigkeiten als Lehrbeauftrage und Supervisorin an verschiedenen Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen sowie in Einrichtungen der geriatrischen und psychiatrischen Versorgung. Seit 2007 am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW, Departement Psychologie als Psychotherapeutin und Dozentin im Studium und der Weiterbildung. Fachliche Schwerpunkte: Entwicklung, Psychopathologie und Psychotherapie im Alter; Stress, Depressionen und Angststörungen im Erwachsenenalter.

 

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